Frühjahrstagung 2009 in Osnabrück/Kalkriese

Bereits zum dritten Mal nach 1998 und 2003 fand die diesjährige Frühjahrstagung des niedersächsischen Geschichtslehrerverbandes am 27. Mai 2009 in Osnabrück statt. Im modernen Ratssaal, direkt über dem historischen Friedenssaal des Rathauses gelegen, fanden sich rund 80 Kolleginnen und Kollegen ein, um an einem abwechslungsreichen, vom Osna­brücker Regionalbeauftragten Thomas Grove vorzüglich organisierten Tagungsprogramm teilzunehmen.
Natürlich war der Tagungsort bewusst gewählt, denn diese Veranstaltung stand wie so viele in diesem Jahr ganz im Zeichen des 2000. Jahrestages der Varusschlacht. Nach einer Begrüßung durch die Bürgermeisterin Karin Jabs-Kiesler, ehemaliges Vorstandsmitglied des Landesverbandes, sowie den Vorsitzenden Dr. Martin Stupperich informierten Dr. Susanne Wilbers-Rost vom Museum und Park Kalkriese sowie ihr Ehemann Dr. Achim Rost von der Universität Osnabrück in einem überaus anschaulichen und spannenden Doppelvortrag das Auditorium über den derzeitigen archäologischen Erkenntnisstand der Kalkrieser Ausgrabungen.
Nachdem bereits Theodor Mommsen Ende des 19. Jahrhunderts die Barenaue bei Kalkriese als Ort der Varusschlacht angesprochen hatte, hat sich dieser Befund seit 1987 auf geradezu aufregende Art und Weise verdichtet. Vereinzelte Münzfunde im 19. Jahrhundert waren mit der Einführung des Kunstdüngers und der geringeren Intensität der Bodenbearbeitung zunächst zum Erliegen gekommen. Hinzu kommt, dass alle Funde unter einer in späterer Zeit aufgetragenen, ca. einen Meter dicken Plaggenschicht liegen. Diese Schicht hat das historische, erheblich abwechslungsreichere Relief so verändert, dass an der Oberfläche nichts von den historischen Gegebenheiten des Jahres 9 n.Chr. zu sehen ist. Die systematischen Grabungen ab dem Ende der achtziger Jahre haben jedoch zu einer Erhärtung der Hypothesen geführt. Über die historischen Gründe für die Schlacht kann die Archäologie keine Auskünfte erteilen. Klar ist jedoch, dass das Gelände vor 2000 Jahren ein Engpass zwischen Wiehengebirge und der moorigen Niederung war. Die mit dem Schlachtfeld assoziierten Funde erstrecken sich über eine Fläche von rund 30 km2. Dies deutet darauf hin, dass der Heereszug auf einer längeren Wegstrecke immer wieder angegriffen wurde. Am Ort der höchsten Fundverdichtung bei Oberesch konnten die Archäologen im Jahre 1990 eine zwei bis drei Meter hohe, geschwungene befestigte Wallanlage nachweisen, die vermutlich kurzfristig angelegt worden war und an der ein umfangreiches Kampfgeschehen stattgefunden hat. An dieser schmalsten Wegstelle war die Marschordnung mutmaßlich aufgelöst, ein Umkehren für die Legionen angesichts der mitgeführten Trosswagen unmöglich.
Der Umstand, dass die Legionen des Varus von einem großen Tross begleitet wurden, deutet darauf hin, dass sie eine friedliche Mission erfüllen sollten. Nach der Niederlage änderte sich das Verhalten römischer Truppen in Germanien. Luxusgüter wurden in der Folgezeit nicht mehr mitgeführt. Der Fund von Knochengruben, in denen menschliche und tierische Gebeine ungeordnet durcheinander lagen, kann als Hinweis auf die Bestattungsmission des Germanicus im Jahre 15 n. Chr. gedeutet werden. Es handelt sich nämlich um Knochen, die nachweislich zwei bis zehn Jahre lang an der Oberfläche gelegen hatten. Dass sich Maultierknochen darunter fanden, belegt, dass es sich um Römer gehandelt haben muss, da die Germanen keine Maultiere kannten.
Eine besondere Herausforderung und Chance stellt sich den Archäologen darin, hier erst­mals ein antikes Schlachtfeld untersuchen zu können. Zu diesem Zwecke muss eine archäologische Quellenkritik entwickelt werden – häufig im Austausch mit anderen Schlachtfeldarchäologen, die sich z.B. mit der Schlacht am Little Big Horn befassen. Nach der Plünderung blieben auf dem Schlachtfeld im Wesentlichen Munitionsteile, d.h. Pfeilspitzen und Schleuderbleie zurück. Größere Artefakte wurden im Rahmen der Leichenfledderei systematisch von den germanischen Siegern entfernt, die insbesondere an den metallischen Erzeugnissen interessiert waren. Auch die berühmte, 1990 gefundene Gesichtsmaske ist nicht vollständig, denn ihr ursprünglicher Silberüberzug ist abgetrennt worden. Die erbeuteten Metallteile wurden von den Germanen weiterverarbeitet. Ger­manische Artefakte, die ohnehin in viel geringerem Maße aus Metall waren, finden sich naturgemäß in sehr geringer Zahl, zumal die gefallenen ger­manischen Krieger geborgen und bestattet wurden. Darauf dass es sich um den Typus des Defilee-Gefechts gehandelt hat, bei dem die Legionen in einem Engpass von der Seite angegriffen wurden, deutet die Fundstruktur hin. Im östlichen Teil ist die Zahl der Funde zunächst gering; denn eine intakte römische Legion war darauf trainiert, Verwundete zu bergen und zu transportieren. Erst im späteren Verlauf, etwa bei Oberesch, als die Ordnung der Legionen in Auflösung geriet und die Armee kollabierte, häufen sich die Funde. Ein weiterer Fundschwerpunkt im Nordwesten des Kampfgebietes legt die Vermutung nahe, dass angesichts der geringeren Frequenz der Schlachtüberreste abseits des Kampfzentrums nicht so intensiv geplündert wurde.
Angesichts dieser überaus plausiblen, in Fülle und Intensität beeindruckenden Ergebnisse kann es befremden, dass die Ergebnisse der Kalkrieser Archäologen gelegentlich immer noch mit pseudowissenschaftlichen Argumenten angefochten werden.
Den zweiten Teil des Vormittagsprogramms bildeten drei alternative Arbeitsgruppen: Eine Stadtführung mit Professor Dr. Mittelstädt, eine Führung durch das Remarque-Friedens­zentrum durch Herrn Siemsen sowie eine Führung durch das Felix-Nussbaum-Haus.
Nach der Mittagspause hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann Gelegenheit, das museale Angebot auf dem historischen Schlachtfeld von Kalkriese selber in Augenschein zu nehmen. Abermals stand das Ehepaar Rost bereit, um Fragen zur neu konzipierten Dauerausstellung im Museum sowie der Rekonstruktion der Wallanlagen im Park Kalkriese zu beantworten. Zusätzlich hatte Herr Grove eine Führung durch die jüngst eröffnete Sonderaus­stellung KONFLIKT organisiert, den Kalkrieser Teil der dreiteiligen Sonderausstellung KON­FLIKT IMPERIUM MYTHOS, deren andere beiden Teile an den Museumsstandorten Detmold und Haltern gezeigt werden.
Auf der Rückfahrt nach Osnabrück herrschte Einigkeit darüber, eine überaus interessante, höchst informative Fortbildung besucht zu haben. Erfreulich war daneben eine erkleckliche Zahl an Neueintritten in den Verband.

Johannes Heinßen